Neueste Entwicklungen in der Forschung hinsichtlich
Technischer Früherziehung in Deutschland
Überblick
I
Bildungspolitische Diskussion in
Deutschland
Die Veröffentlichung
der PISA-Studie im vergangenen Winter hat ergeben, dass Leistungsfähigkeit und
Wissen von Schülerinnen und Schülern im
naturwissenschaftlich-technischen Bereich auch in technisch hoch entwickelten
Ländern Europas noch stark förderbedürftig sind.
Die Frage nach den Ursachen für
das insgesamt schlechte Abschneiden deutscher Jugendlicher hat in den letzten
Monaten folgende Diskussionsaspekte ergeben
-
Wie können Kinder lernen, Wissen und Kompetenzen in
anwendungs- und praxisorientierten Zusammenhängen nutzen zu können?
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Wie können wir eine bessere Lernkultur entwickeln?
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Wie können Lernstrategien verbessert werden?
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Wie können wir Lernfenster der Kinder besser nutzen?
Während in den meisten Ländern der
Kindergarten als Bildungseinrichtung arbeitet, die für die Betreuung, Bildung
und Erziehung der Kinder zuständig ist, hat er in Deutschland die Rolle einer
Einrichtung, in der Eltern ihr Kind möglichst lange belassen, damit es noch ein
wenig spielen darf. Deutschland hat es versäumt und versäumt es weiterhin,
Vorformen schulischen Lernens in Kindertageseinrichtungen einzubringen. Obwohl
diese Institutionen immer mehr in die bildungspolitische Diskussion einbezogen
werden, sind Erzieher und Erzieherinnen oft skeptisch in Bezug auf das Thema
Lernen und besonders in Bezug auf Technische Erziehung: Sie setzen es
gleich mit Leistungsdruck und Überforderung, sprechen schnell von Verschulung
und beklagen den Verlust von Kindheit schlechthin.
Die Elementarerziehung
muss sich bewusst werden, dass es im dritten bis fünften Jahr der kindlichen
Entwicklung so genannte kognitive Fenster gibt. Während dieser Phasen können
Kinder spielerisch umfassend Wissen erwerben. Es handelt sich um den optimalen
Zeitpunkt für die Aneignung von Akzent und Basisgrammatik einer zweiten
Sprache, für die Orientierung im Raum und für elementares mathematisches
Denken. Trotz dieser wohlbekannten Fakten gibt es kaum Konzepte für die
Frühförderung von Vorschulkindern in Deutschland.
Ansätze für ein Bildungsangebot in
Kindergärten, das auch naturwissenschaftliche und technische Aspekte umfasst,
gibt es schon seit längerem. Erste Forschungsarbeiten wurden von Gisela Lück
(Professorin für Chemie-Didaktik an der Universität Bielefeld) für den Kindergarten
und von Elsbeth Stern für die Grundschule durchgeführt. Beide haben bewiesen,
dass Kinder wesentlich früher als bisher angenommen in der Lage sind,
naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zu verstehen.
II. Entwicklungspsychologische,
kognitionspsychologische und neurophysiologische Voraussetzungen für die
Hinführung zu naturwissenschaftlichen Phänomenen im frühen Kindesalter
Die entscheidende
Frage ist, ob Kindern im Vorschulalter ein ihrem Alter entsprechender Zugang zu
naturwissenschaftlichen Phänomenen überhaupt möglich ist und ob und auf welche
Weise die Vermittlung frühkindlicher Naturwissenschaftserfahrung in
Kindertagesstätten sinnvoll erscheint.
Bereits vor langer
Zeit entdeckte die Entwicklungspsychologie (Piaget, Erikson, Lück etc.) die
Existenz so genannter kognitiver Fenster oder sensibler Phasen in der
frühen Kindheit. Diese Fenster bieten den bestmöglichen Zeitpunkt für den
Erwerb einer Zweitsprache, die räumliche Orientierung und elementares
mathematisches Denken. Informationen werden wesentlich schneller und effektiver
verarbeitet als in späteren Phasen der kindlichen Entwicklung.
Die Erkenntnis, dass die
Vermittlung naturwissenschaftlicher Erfahrungen im Vorschulalter möglich und
sinnvoll zu sein scheint,. wird von immer mehr ForscherInnen gestützt. Sie weisen
auf das frühe Interesse von Vorschulkindern an naturwissenschaftlichen Phänomenen
hin und befürworten einen möglichst frühen, ihrem Alter entsprechenden Zugang
zu naturwissenschaftlichen Phänomenen.
Kinder brauchen anscheinend
Lernprozesse, die anspruchsvoll und ganzheitlich angelegt sind und in denen
Geist, Psyche und Körper gleichermaßen beansprucht werden. Lernen gelingt
nachhaltiger, wenn die Inhalte der Experimente aus dem unmittelbaren
Erfahrungsbereich der Kinder kommen, in verschiedenen Zusammenhängen
auftauchen, in denen möglichst viele Sinne angesprochen werden und von den
Kindern selbst durchgeführt werden. Zusätzliche Motivation erzeugen die
Lernsituationen, in denen viel gelobt wird und bei denen ein positives Klima
herrscht. Gerade im Vorschul- und Grundschulalter sollte man den Einfluss von
sozialen Vorbildern, wie Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen nicht unterschätzen.
Die Art und Weise wie sie bestimmte Interessen ausstrahlen, wie liebevoll sie
mit den Kindern umgehen und wie vielfältig sie die Körpersprache einsetzen, hat
entscheidenden Einfluss auf das kindliche Lernen.
III. Was hat das Lernen mit dem
Geschlecht zu tun?
Mädchen und Jungen verhalten sich
unterschiedlich, ihre jeweiligen Neigungen, Haltungen und Herangehensweisen
sind verschieden. Dispositionen für spezifische Verhaltensweisen und
Kompetenzen sind möglicherweise biologisch beeinflusst und genderspezifische
Rollenerwartungen und Kompetenzen werden durch die Sozialisation erworben.
Eine Polarisation der Geschlechter
hat sich in den meisten Kulturen entwickelt. Sie führt zu
geschlechtsspezifischen Fördermöglichkeiten und Berufsorientierungen, die selbst
heute noch den gleichberechtigten Zugang von Mädchen und Frauen zu einigen
Berufsfeldern erschweren. Dies trifft teilweise auf den Bereich der
Naturwissenschaften zu, vor allem aber auf alle Berufe, die mit Technik zu tun
haben.
1999 etablierte die Europäische
Union den Gender Mainstreaming-Grundsatz als politisches Prinzip. Es bestimmt
als verpflichtenden Grundsatz, dass
alle Maßnahmen der EU und ihrer Mitglieder auf ihre möglichen Auswirkungen für
beide Geschlechter hin zu untersuchen und nur dann zu realisieren sind, wenn
sie die Gleichstellung der Geschlechter unterstützen.
Um das Gender
Mainstreaming-Prinzip in der technischen Früherziehung anzuwenden, müssen wir
die Auswirkungen aller Entscheidungen auf beide Geschlechter vorab bedenken.
Vor jedem neuen Projekt, bei jeder Einrichtung neuer Spiel- und Lernbereiche,
aber auch im alltäglichen Umgang mit den Kindern in Kindertageseinrichtungen
müssen wir uns die folgenden Fragen stellen:
- Gibt es Partizipationsmöglichkeiten für Mädchen
wie für Jungen?
- Gibt es Zugangsbarrieren in Bezug auf
Aktivitäten, Raum oder Zeit, die vom Geschlecht abhängen?
- Ist es erforderlich, in bestimmten Lern- und
Spielsituationen auf besondere Stärken und Schwächen oder spezifische
Denkstrukturen eines der Geschlechter Rücksicht zu nehmen?
- Ist es erforderlich, die Mädchen besonders für
den Lernbereich Technik zu motivieren und zu verstärken?
- Ist es sinnvoll, Experimentier- und
Konstruktionssituationen in ihrer Gestaltung auf die jeweiligen Interessen
der Geschlechter zu beziehen?
- Ist es sinnvoll, gelegentlich mit
geschlechtsgetrennten Gruppen zu arbeiten?
IV. Technische Früherziehung
durch audiovisuelle Medien: Fernsehen, Radio, Hörkassetten, Computerspiele,
Internet
Kinder im Alter von
4-6 Jahren haben bereits ein ausgeprägtes Interesse an naturwissenschaftlichen
und technischen Sachverhalten. Dies zeigt sich v.a. daran, dass die Medien
schon seit Jahren ein breites Angebot an Themen mit naturwissenschaftlichen und
technischen Inhalten für Schul- und Vorschulkinder bereitstellen. Dennoch
erfolgt die systematische Vermittlung naturwissenschaftlicher Kenntnisse im
bundesdeutschen Bildungssystem erst im Schulunterricht der Sekundarstufe I, d.
h., Medien begeistern Kinder für naturwissenschaftliche Themen lange bevor unser
Bildungssystem Naturwissenschaftsvermittlung vorsieht.
Das Fernsehen gilt
nach wie vor unter 3-9jährigen Zuschauern als beliebtes Medium der
Unterhaltung, aber auch als Informationsquelle zu naturwissenschaftlichen
Fragestellungen, wobei das Angebot an Sendungen mit naturwissenschaftlichen
Inhalten mittlerweile ein breites Spektrum einnimmt. Die erfolgreichsten
Kindersendungen, in denen auch Inhalte zu den Themen Technik oder unbelebte
Natur vorkommen, sind Die Sendung mit der Maus, Löwenzahn und Sesamstraße.
Auch die auditiven
Medien (Radio wie auch Tonträger) greifen das Thema der Vermittlung
technisch-naturwissenschaftlicher Inhalte auf. Jüngere Kinder schätzen auditive
Medien mehr als ältere Kinder und haben bereits sehr früh Zugang zu Kassetten:
Bereits 70 % der Vierjährigen sind mit Abspielgeräten vertraut. Der Massenmarkt
der Kinderhörkassetten ist vor allem ökonomisch orientiert, seine Produkte
werden deshalb von Medienkritikern häufig auch als Hörmüll bezeichnet. da sie
üblicherweise Themen auswerten, die sich in anderen Medien erfolgreich bewährt
haben.
Neben Fernsehen und Hörkassetten
ist auch der Computer aus der Erfahrungswelt der Vor- und Grundschulkinder
nicht mehr auszublenden. Es gibt zahlreiche Spiel- und Lernprogramme, die auf
die verschiedenen Alters- und Entwicklungsstufen der Kinder abgestimmt sind.
Für Vor- und Grundschulkinder gibt es bereits eine große Zahl an
Computerspielen, die auch von 3-jährigen Kindern unbefangen und interessiert
genutzt werden.
CD-ROMS vermitteln Kindern ab 4
Jahren technisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse auf spielerische Art und
Weise und ermöglichen es ihnen, sich interaktiv Informationen über verschiedene
Themen der belebten, aber auch unbelebten Natur (z.B. Erde-Wasser-Luft) anzueignen
oder vorhandenes Wissen zu überprüfen.
Die Kinder sind auch dabei, das
Internet zu erobern. Inzwischen gibt es einige hundert Internetseiten, die
sich speziell an Kinder richten. Eigens für Kinder geschaffene Suchmaschinen
und Portale ermöglichen es ihnen, auch Informationen über
wissenschaftlich-technische Inhalte zu finden.
V. Möglichkeiten der
methodisch-didaktischen Umsetzung naturwissenschaftlicher und technischer
Themen
Bisher dürfte deutlich geworden
sein, dass ein frühes Umgehen mit technischen und naturwissenschaftlichen
Themen bedeutsam für die weitere Entwicklung der Kinder ist. Auf der einen
Seite existiert eine Vielzahl von Büchern zu diesem Themenbereich mit zahllosen
interessanten Experimenten. Auf der anderen Seite sind Hinweise auf systematische
Untersuchungen und Möglichkeiten einer methodisch-didaktischen Umsetzung in der
sozialpädagogischen Praxis selten.
Weitere Hinweise zur methodisch-didaktischen Umsetzung
insbesondere physikalischer Experimente sind bei Mireille Hibon und Elisabeth Niggemeyer
zu finden. Mögliche Ideen für den Einsatz von Computern in
Kindertageseinrichtungen werden im Projektbericht der Fachschule für
Sozialpädagogik des RVW-BK Lüdinghausen präsentiert.