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Entwicklungspsychologische, kognitionspsychologische und neurophysiologische Voraussetzungen für die Hinführung zu naturwissenschaftlichen Phänomenen im frühen Kindesalter

 

Nicht erst seit den Ergebnissen der Pisa-Studie wird eine kontroverse Diskussion über das mangelnde Interesse unserer Schülerinnen und Schüler an naturwissenschaftlichen Fächern geführt. Inhalte aus den Bereichen Chemie und Physik z. B. haben im Sachkundeunterricht im Vergleich mit beispielsweise sozialwissenschaftlichen Themenbereichen eine immer geringere Bedeutung. In weiterführenden Schulen wird Chemie und Physik erst im 7. oder 9. Schuljahr angeboten. Zu spät, meinen viele Kritiker, da die Jugendlichen in der Phase der Pubertät andere Interessen entwickeln und fordern konsequenterweise schon im Vorschulalter eine Begegnung mit naturwissenschaftlichen Fragen, da gerade Kinder in dieser Entwicklungsphase für diese Phänomene besonders empfänglich sind.

 

Dies führt zwangsläufig zu der zentralen Frage, ob Kindern im Vorschulalter ein ihrem Alter entsprechender Zugang zu naturwissenschaftlichen Phänomenen überhaupt möglich ist und ob und auf welche Weise die Vermittlung frühkindlicher Naturwissenschaftserfahrung in Kindertagesstätten sinnvoll erscheint.

 

Um diese Frage zu beantworten, ist eine Auseinandersetzung mit entwicklungspsychologischen, kognitionspsychologischen und neurophysiologischen Erkenntnissen unerlässlich. Eine Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstandes zu Alltagsvorstellungen von Kindern im frühen Kindesalter findet sich u.a. ausführlich in der vielbeachteten Arbeit von G. Lück, in der sie mit Kindern im Vorschulalter mit Hilfe von Experimenten Phänomene aus der unbelebten Natur betrachtet und Erklärungsmuster dafür entwickelt.[1]

 

Piagets Entwicklungs- und Kognitionspsychologie

Betrachtet man die Diskussion um die geistige Entwicklung im Kindesalter, dann begegnet man immer wieder Hinweisen auf Piagets Entwicklungs- und Kognitionspsychologie.[2] Angesichts der unterschiedlichen Gewichtungen von Piagets Untersuchungsergebnissen und der unüberschaubaren Menge an Sekundärliteratur mit ihrer segmenthaften Betrachtungsweise seiner Forschungen, soll hier lediglich auf die Bedeutung der kognitiven Entwicklungstheorie Piagets für das Kindergarten- und Vorschulalter sowie die Relevanz für frühkindliche Naturwissenschaftserfahrung eingegangen werden.

 

Das Kleinkind- und Vorschulalter der 2-7-jährigen wird bei Piaget mit der Präoperationalen Phase erfasst. Das Denken ist noch voll von logischen Irrtümern, da das kindliche Denken mehr von der Wahrnehmung als von der Logik beherrscht wird. Es wird dem Kind jedoch zunehmend möglich, sich komplette Handlungen auf gedanklicher Ebene zu vergegenwärtigen, wenn diese Handlungen bereits im "echten Leben "ausgeführt wurden.

In dieser Phase entwickelt sich das begriffliche Denken. Das Kind ist jedoch noch nicht in der Lage sämtliche Eigenschaften dieser Begriffe[3] zu verstehen. So identifiziert es z.B. alle männlichen Wesen für einige Zeit als "Papa" und alle weiblichen Wesen als "Mama". Das Kind kann also Objekte identifizieren; sein Verständnis ist jedoch unvollständig, da es noch nicht zwischen scheinbar identischen Mitgliedern derselben Begriffe unterscheiden kann. Daher der Terminus "vorbegrifflich".

 

In dieser Phase der Entwicklung vermuten Kinder in vielen Dingen, wie in dem Mond, der Puppe oder anderen Gegenständen des täglichen Lebens etwas Lebendiges. Diese "Beseelung" (Animismus), in der Kinder leblosen Gegenständen übernatürliche, magische Eigenschaften zuschreiben, ist ein wichtiges Merkmal der frühen Präoperationalen Phase ebenso wie die Schwierigkeit von der eigenen persönlichen Perspektive abzurücken und sich in die Sichtweise anderer hineinzuversetzen (Egozentrismus).

 

Für die Beantwortung der Frage, ob Kindern im Vorschulalter ein ihrem Alter entsprechender Zugang zu naturwissenschaftlichen Phänomenen überhaupt möglich ist, scheint besonders die Tatsache wichtig zu sein, dass es vier- bis siebenjährigen Kindern kaum gelingt Invarianzen zu erfassen. "Dies gilt für die Invarianz der Substanz, des Gewichts und des Volumens fast gleichermaßen ..." .[4] Ein bekanntes Beispiel für die Invarianz flüssiger Quantitäten ist das Experiment mit zwei Bechern. Dem Kind werden zwei identische Becher gezeigt, die bis zur gleichen Höhe mit Wasser gefüllt sind. Dann wird der Inhalt des einen Bechers in eine lange dünne Röhre geschüttet. Das Kind, das beim ersten Mal zugab, dass die Mengen in beiden Bechern gleich seien, wird nun gefragt, ob in dem neuen Behälter genauso viel, mehr oder weniger Wasser ist. Im intuitiven Stadium (anschauliches Denken) wird es fast immer sagen, es sei mehr, weil es in der Röhre viel höher stehe. Mit anderen Worten, das Kind achtet auf die irreführenden Wahrnehmungsmerkmale der Reizsituation.

 

Allerdings beginnt das Kind in der Phase des anschaulich-intuitiven Denkens bereits sukzessiv Invarianzen zu erfassen. In diesem Prozess der nacheinander erworbenen Fähigkeit des Erkennens von Invarianzen löst sich das Kind allmählich auch von seinem Egozentrismus.

 

Fasst man die bisherigen Ausführungen zusammen, so scheint das präoperationale Denken des Kindes eher gegen eine frühe Hinführung zu wissenschaftlichen Phänomenen zu sprechen. G.Lück führt jedoch eine Reihe von Argumenten an, die eine Hinführung zu naturwissenschaftlichen Phänomenen im späten Kindergarten- und Vorschulalter (5-6½ Jahren) dennoch sinnvoll erscheinen lassen.

 

Piaget selbst weist darauf hin, dass bereits einige Fünfjährige und noch mehr Sechsjährige die Fähigkeit erworben haben, bestimmte Invarianzen zu erkennen[5], so dass man davon ausgehen kann, dass die Kinder auch in der Lage sind weitergehende logische Überlegungen anzustellen und so z.B. bestimmte Eigenschaftsmerkmale von unbelebter Natur sinnvoll zu erfassen.[6]

 

G.Lück stellt fest, dass für die Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Phänomenen ein bestimmter Entwicklungsstand erreicht werden muss, nämlich "die Wahrnehmung der Veränderungen aufgrund der zunehmenden Ausbildung der Dezentrierung, die zu den entsprechenden Adaptionsprozessen führt...". [7] D.h., die Aufmerksamkeit richtet sich nicht mehr nur auf einen einzigen Gegenstand oder Merkmal, sondern das Kind ist zunehmend in der Lage, mehr als einen Wahrnehmungspunkt zu berücksichtigen.

 

G. Lück verweist in diesem Zusammenhang auf unterschiedliche Auffassungen zu Piagets Stadientheorie. Einige Autoren argumentieren gegen die starren Altersangaben in der Stadientheorie und begründen dies mit dem methodischen Vorgehen Piagets bei der Ermittlung des jeweiligen Alters der Kinder, dem Einfluss der Medien, die zur einer Beschleunigung der geistigen Entwicklung beitragen und der Erkenntnis, dass Kinder schon früher als von Piaget ermittelt kognitive Fähigkeiten der operationalen Phase entwickeln, wenn die gestellten Aufgaben von konkreten Lebenssituationen der Kinder ausgehen.[8]

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass "kognitive Entwicklungen nicht gleichzeitig in allen Bereichen in Abhängigkeit von Entwicklungsstadien ablaufen, sondern dass sich der Erwerb von Wissen in spezifischen Inhaltsbereichen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Sequenzen vollzieht"[9]. Elsbeth Stern vom Max-Plank-Institut für Bildungsforschung in Berlin wendet sich ebenfalls vehement gegen die Stufentheorie Piagets. Sie konnte in mehreren Versuchen nachweisen, dass Kinder viel früher als in Piagets Theorie beschrieben physikalische Gesetze verstehen können. So waren Viertklässler beispielsweise in der Lage das Prinzip der Dichte als Masse pro Volumen zu erfassen und in einem Koordinatensystem darzustellen.[10] Folgt man dieser Argumentation, dann lässt sie eine Begegnung mit naturwissenschaftlichen Fragen im Vorschulalter sinnvoll erscheinen.

 

Ein weiterer Einwand gegen Piagets Erkenntnistheorie liegt in der Tatsache begründet, dass sie affektive und emotionale Aspekte völlig außer Acht lässt. Dabei haben gerade ästhetische Gesichtspunkte, sinnliche Wahrnehmung sowie die Freude am Experimentieren eine entscheidende Bedeutung für die ersten Kontakte mit der unbelebten Natur.

 

Aus diesem Grunde ist es wichtig sich mit der Entwicklungspsychologie Eriksons zu befassen, da dieser gerade den affektiven Aspekten eine zentrale Bedeutung bei der menschlichen Entwicklung beimisst.

 

Der entwicklungspsychologische Ansatz von Erik H. Erikson

 

In Eriksons entwicklungspsychologischem Ansatz ist die Identitätsbildung als Hauptproblem und Hauptaufgabe des Individuums definiert.
Die wichtigsten Merkmale der individuellen Identitätsentwicklung sind nach Erikson die
psychosexuellen und psychosozialen Entwicklungskrisen und ein Gefühl der inneren Einheit (Identitätsgefühl), dass sich jedes Mal neu nach der erfolgreichen Bewältigung der jeweiligen psychosozialen Krise ( Autonomie gg. Scham und Zweifel, Initiative gg. Schuldgefühl etc.) in einer Phase einstellt. Erikson orientiert sich bei seiner Vorstellung von einer gesunden Persönlichkeit an Marie Jahoda, „wonach die gesunde Persönlichkeit ihre Umwelt aktiv meistert, eine gewisse Einheitlichkeit zeigt und imstande ist, die Welt und sich selbst richtig zu erkennen".[11] Das Wachstum einer Persönlichkeit folgt einem inneren 'Grundplan', "dem die einzelnen Teile folgen, wobei jeder Teil eine Zeit der Übergewichts durchmacht, bis alle Teile zu einem funktionierenden Ganzen herangewachsen sind".[12] Dieses Wachstum erfolgt in acht Entwicklungsstadien, die jeweils durch entsprechende "Entwicklungskrisen" gekennzeichnet sind:

 

I.                     Säuglingsalter (Urvertrauen gg. Misstrauen)

II.                   Kleinkindalter (Autonomie gg. Scham und Zweifel)

III.                  Spielalter (Initiative und Schuldgefühl)

IV.                Schulalter (Werksinn gg. Minderwertigkeitsgefühl)

V.                  Adoleszenz (Identität gg. Identitätsdiffusion)

VI.                Frühes Erwachsenenalter (Intimität gg. Isolierung)

VII.               Erwachsenenalter (Generativität gg. Selbst- Absorption)

VIII.             Reifes Erwachsenenalter (Integrität gg. Lebens-Ekel)[13]

 

Für unsere Fragestellung ist das "Spielalter", das in etwa dem Kindergarten- und Vorschulalter entspricht, von besonderem Interesse.

Das Kind entwickelt in dieser Phase über die Krise seine Identität Schritt für Schritt weiter. Es beginnt über sich selbst nicht mehr in der dritten Person zu reden. Das Kind begibt sich auf die Suche und erkundet seine Umwelt; dabei entfaltet das freie Spiel seine besondere Qualität. Es bietet dem Kind die Möglichkeit die Welt im wörtlichen Sinne zu 'begreifen'. "In diesem Stadium kommen ihm drei kräftige Entwicklungsschübe zu Hilfe, die jedoch auch die nächste Krise beschleunigen: 1. das Kind lernt sich freier und kraftvoller zu bewegen und gewinnt dadurch ein weiteres, ja, wie es ihm scheint, ein unbegrenztes Tätigkeitsfeld; 2. sein Sprachvermögen vervollkommnet sich soweit, dass es sehr viel verstehen und fragen kann, aber auch um so mehr missversteht; 3. Sprache und Bewegungsfreiheit zusammen erweitern seine Vorstellungswelt, so dass es sich vor seinen eigenen, halb geträumten, halb gedachten Bildern ängstigt (...) Es lernt jetzt eminent eindringlich und energisch: Über seine eigenen Grenzen hinaus und zu künftigen Möglichkeiten hin" und dabei entwickelt es "eine unersättliche Wissbegier."[14]

 

Die Grundstärke in dieser Phase ist die Kraft des entschlossen Handelns, die im Spiel realisiert wird – nicht ohne Grund nennt Erikson diese Phase „Spielalter".

Was tut das Kind, um sich in der Welt zurechtzufinden? Zunächst sucht es nach idealen Leitbildern. Dies sind in der Regel die Eltern, die als groß und mächtig wahrgenommen werden. Berufsrollen wie Polizist, Feuerwehrmann, Lokomotivführer oder Astronaut werden interessant. Diese idealen Rollen werden, ergänzt durch die eigene Phantasie, im wesentlichen aus Bilderbüchern, Märchen und aus diversen anderen Medien, insbesondere aus Fernsehsendungen übernommen. Im gemeinsamen Spiel mit den anderen Kindern können diese Rollen dann interaktiv ausgelebt werden. „Unterstützt wird die Initiative der Kinder durch zunehmende Mobilität, körperliche Geschicklichkeit, Sprachvermögen, kognitive Fertigkeiten und Phantasie."[15]

 

Gisela Lück plädiert dafür diese Phase der Wissbegier auszunutzen und die Kinder im Kindergarten- und Vorschulalter zu naturwissenschaftlichen Themen hinzuführen. Dafür scheint das Experimentieren mit der unbelebten Natur im "Spielalter" besonders geeignet zu sein, da die Kinder hier ihre gerade erwachenden Fähigkeiten wie Rekonstruieren, Deuten, in Beziehung setzen etc. besonders erproben können. Die damit verbundenen Erfolgserlebnisse bieten für die Kinder die Chance die bei den Experimenten erlebte positive Grundstimmung gegenüber naturwissenschaftlichen Phänomenen weiter zu festigen und tragfähig zu gestalten.[16]

 

Der Umgang mit technischen Phänomenen sollte an die Vorstellungen und Erfahrungen der Kinder anknüpfen. Erst in der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt, aus den Handeln heraus entwickeln sich Denkprozesse, die die Vorstellungen der Kinder über technische Zusammenhänge erweitern können.

 

Kornelia Möller, die sich mit der Vermittlung von Technik im Sachunterricht für das Grundschulalter beschäftigt, orientiert sich ebenfalls an diesen Erkenntnissen wenn sie auf die kognitionspsychologischen Arbeiten von Aebli verweist. Nach Möller erwerben die Kinder im aktiven Umgang mit technischen Gegenständen und Vorgängen ein erstes, oft noch wenig bewusstes Umgangswissen, das auch als Wenn-Dann-Wissen bezeichnet werden kann. Allerdings reiche das Handeln nicht aus; erst "die Bewertung des Prozesses und der Ergebnisse, das Korrigieren, Optimieren und Schlussfolgern, insgesamt also das Reflektieren des Handelns" führen im Grundschulalter zum Verstehen und Gelingen von technischen und naturwissenschaftlichen Experimenten.[17]

 

Neurophysiologische Aspekte

 

Verfolgt man die rasante Entwicklung der Neurophysiologie in den letzten Jahren, dann stellt sich die Frage, ob nicht auch Erkenntnisse aus dem Gebiet der Neurophysiologie bzw. Neurobiologie für unsere Frag estellung hilfreich sein könnten. Obwohl noch viele Fragen offen sind, beginnen NeurowissenschaftlerInnen zunehmend besser zu verstehen, was sich im Gehirn beim Lernen verändert.

 

Die wichtigsten Bausteine des Gehirns sind die Neuronen (Nervenzellen). Diese hoch spezialisierten Zellen empfangen aus mehreren Quellen elektrochemische Impulse. Wenn die Summe dieser Impulse einen bestimmten Wert übersteigt, lösen sie ihrerseits einen Impuls aus, der von einem benachbarten Neuron empfangen wird. Die Forscher sagen: Das Neuron feuert. Die Kontaktstellen, an denen die Impulse von den benachbarten Neuronen aufgenommen werden, nennt man Synapsen.

 

Schon bei der Geburt enthält das Gehirn potentiell alle Voraussetzungen zum Denken und Lernen. 70% der Gehirnkapazität stehen dem Lernen zur Verfügung, lediglich 30% sind von vornherein für bestimmte Dinge festgelegt. In den ersten fünf bis sechs Lebensjahren wird das menschliche Gehirn massiv umgestaltet. Ein Netzwerk von 20 Milliarden Nervenzellen reagiert sehr flexibel auf jede Art von Eindrücken, Bildern und Informationen, indem es die Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen (Synapsen) verändert. Während solcher prägungsähnlicher Lernprozesse, werden mit Hilfe von chemischen Botenstoffen (Neurotransmitter) die elektrischen Impulse von einer Nervenzelle zur nächsten übertragen. Jede Nervenzelle verfügt über einen Sender und eine Vielzahl von Empfängern, mit denen sie die Informationen der anderen Nervenzellen aufnimmt. Das Gehirn verarbeitet diese Informationen zu neuen Strukturen, oder vernetzt diese mit anderen, schon vorhandenen Strukturen. Dabei werden bestimmte Neuroverbindungen verstärkt, andere abgeschwächt, andere verschwinden ganz. "Diese Abnahme der Anzahl der Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen ist kein Verlust, sondern es ist eine Selektion. Es werden die Verschaltungen gefestigt, beibehalten, die passend sind, die auch dazu gehören. Und die durch den Dialog des kindlichen Gehirns mit der Umwelt bestätigt werden, die gebraucht werden."[18] Das bedeutet, dass es in den verschiedenen Phasen der frühkindlichen Entwicklung bestimmte Zeitfenster oder "sensitive Phasen" gibt, in denen Informationen mit viel höherer Geschwindigkeit und Wirksamkeit als in späteren Phasen aufgenommen werden. Kinder sind in diesen Phasen für spezielle Einflüsse besonders empfänglich. So werden sich die Bereiche im Nervensystem, die z.B. für Musik oder Sprachen zuständig sind im Vergleich mit anderen deutlich stärker entwickeln, wenn das Kind von früher Kindheit an mit Musik konfrontiert wird oder zweisprachig aufwächst. Es ist naheliegend, dass es auch eine "sensitive Phase" für naturwissenschaftliche Fragestellungen geben könnte. Diese Strukturierungsprozesse sind im Wesentlichen mit der Pubertät abgeschlossen, danach steht dem Erwachsenen nur noch das bis dahin gebildete Netzwerk zur Verfügung, in das das Erlernte vorrangig eingebettet wird.

 

Zusammenfassung

Fasst man die entwicklungspsychologischen, kognitionspsychologischen und neurophysiologischen Aspekte zusammen, dann scheint die Vermittlung frühkindlicher Naturwissenschaftserfahrung im Vorschulalter durchaus möglich und sinnvoll zu sein. Diese Erkenntnis wird von immer mehr ForscherInnen gestützt. Sie weisen auf das frühe Interesse von Vorschulkindern an naturwissenschaftlichen Phänomenen hin und befürworten einen möglichst frühen, ihrem Alter entsprechenden Zugang zu naturwissenschaftlichen Phänomenen.[19]

 

Kinder brauchen anscheinend Lernprozesse, die anspruchsvoll und ganzheitlich angelegt sind und in denen Geist, Psyche und Körper gleichermaßen beansprucht werden. Lernen gelingt nachhaltiger, wenn die Inhalte der Experimente aus dem unmittelbaren Erfahrungsbereich der Kinder kommen, in verschiedenen Zusammenhängen auftauchen, in denen möglichst viele Sinne angesprochen werden und von den Kindern selbst durchgeführt werden. Zusätzliche Motivation erzeugen die Lernsituationen, in denen viel gelobt wird und bei denen ein positives Klima herrscht. Gerade im Vorschul- und Grundschulalter sollte man den Einfluss von sozialen Vorbildern, wie Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen nicht unterschätzen. Die Art und Weise wie sie bestimmte Interessen ausstrahlen, wie liebevoll mit den Kindern umgehen und wie vielfältig sie die Körpersprache einsetzen, hat entscheidenden Einfluss auf das kindliche Lernen.

 



[1] Lück, Gisela: Naturwissenschaften im frühen Kindesalter. Untersuchungen zur Primärbegegnung von Kindern im Vorschulalter mit Phänomenen der unbelebten Natur. Reihe: Naturwissenschaft und Technik - Didaktik im Gespräch. Bd. 33, 2000, S.92 ff

[2]Lück; Gisela: ebenda S.92,

siehe auch: Oerter, Rolf / Montada, Leo (Hrsg.) 1995: "Entwicklungspsychologie: Ein Lehrbuch." 3. Aufl.: Beltz; Zimbardo,Philip G. & Gerring, Richard J. Psychologie. Berlin, Heidelberg 1999: Springer; Mönks, Franz J & Knoers, Alphons M. Lehrbuch der Entwicklungspsychologie. München, Basel 1996: Reinhardt

[3] "Ein Begriff steht für oder repräsentiert eine Reihe von Gemeinsamkeiten in einer Gruppe von Schemata, Vorstellungsbildern oder Symbolen. (...) Begriffe repräsentieren abstrahierte Merkmale vieler Ereignisse". In: Mussen, P.H.u.a. Lehrbuch der Kinderpsychologie 1.Auflage Stuttgart: Klett 1976. S.282

[4] Lück, Gisela: Ebenda S.95

[5] Es handelt sich um die Invarianz der Substanz bei 16% der Fünfjährigen und 34% der Sechsjährigen

[6] Lück, Gisela: Ebenda S.98

[7] Lück, Gisela: Ebenda S.99

[8] siehe auch die Anmerkungen zur Kritik an Piaget. In:. Grüninger, Chr und Lindemann, F.. Vorschulkinder und Medien. Leske+Budrich, Opladen 2000. S.14

[9] vgl. Lück, Gisela: Ebenda S.100f

[10] Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin:

http://www.mpib-berlin.mpg.de/de/aktuelles/enterprise.htm

[11]Erikson, Erik H.: Identität und Lebenszyklus. Frankfurt 1977.4.Aufl. S.57

[12]Erikson, Erik H.: Ebenda, S.57

[13]vgl. Erikson (1977). S. 150

[14]Erikson(1977). S.87ff

[15]Miller, Patricia H.: "Theorien der Entwicklungspsychologie." Spektrum Akademie Verlag. 1997, S. 161

[16] vgl. Lück, Gisela: Ebenda S.108

[17] Möller, K. Kinder auf dem Wege zum Verstehen von Technik – Zur Förderung technikbezogenen Denkens im Sachunterricht. Skript WWU-Münster. Juni 1998

[18]O-Ton Ruxandra Sireteanu. Max-Plank-Institut für Hirnforschung. Frankfurt/M. in dem ARD-Magazin "Globus" zum Thema:"Gehirn und Lernen" vom 20.03.2002. Quelle: http://www.orb.de/fernsehen/ard/globus/20020320/gehirn.html

[19] Vgl. z. B.. Lück, Gisela: a.a.O.S.219, Scheich, H. und Gundelfinger, E.: Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg. In: Magdeburger Volksstimme vom 27. Sept.2002 und

Elsbeth Stern. In: http://www.mpib-berlin.mpg.de/de/aktuelles/enterprise.htm